Mika Rottenberg im Kunsthaus Bregenz
Sieben Frauen in einer Art heiterer Form klösterlicher Gemeinschaft melken Ziegen, schlagen Butter, schütteln ihr überlanges Haar in betörenden Wellenbewegungen. Die Video-Installation „Cheese (#2)“ (2008), macht den Auftakt zur aufwendig inszenierten Einzelausstellung der in New York lebenden Künstlerin. Die fünf monumentalen Filmarbeiten, über die vier Stockwerke des Kunsthauses verteilt, wurden durch installative, skulpturale Setzungen zu einer räumlichen Gesamtschau verzahnt, die in einer bizarr-surrealistischen Bildsprache mit oft absurd-komischen Elementen um die Themen Warenproduktion und -zirkulation kreist. Schon die erste Arbeit macht deutlich, dass es jedoch nicht um Kapitalismuskritik in einem analytischen Sinne geht, sondern um sinnlich-lustvolles Umkreisen und Überspitzen. Offensiv werden Gender-Themen integriert, die Fragen nach der Verbindung von Kapitalismus und Geschlecht aufwerfen. Gleich in der ersten Arbeit geht es um reproduktive Prozesse: Die Ziegen produzieren Milch in ihren Eutern, die Frauen Haare auf ihrem Kopf, ein Wasserfall-Sprühnebel, aus dem im Film ein Haarwuchsmittel gemacht wird, was sich wiederum auf die wahre Geschichte der „Seven Sutherland Sisters“ bezieht, die im 19. Jahrhundert mit einem Haarwasser ein Vermögen verdienten.
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Jenseits dieses anekdotischen Rückgriffs geht es um vegetative Formen der Erzeugung von Rohstoffen, die traditionell weiblich konnotiert sind, und oft im Gegensatz zu einer intellektuell-männlichen Schöpferrolle gesehen werden. Man könnte diese Opposition auch mit dem Begriffspaar Reproduktion und Produktion fassen, vor allem auf ersteres ist Mika Rottenbergs Interesse gerichtet. So niest eine der Frauen einen flauschigen Hasen aus ihrer Nase und etabliert damit ein Motiv bizarrer Fruchtbarkeit, das sich durch die gesamte Ausstellung zieht. Auch in der Videoarbeit „Sneeze“ (2012), in der ein Mann abwechselnd Häschen und Koteletts aus seiner Nase ausstößt. Im eruptiven Niesanfall wird „delivered“, geliefert und entbunden gleichermaßen. Die Nase wird in der Folge immer dicker und röter. Reproduktion wird als körperlich anstrengender und fordernder Prozess anschaulich. Diesen zeigt Rottenberg allerdings entkoppelt von Sex oder tatsächlicher Reproduktionsfähigkeit, sondern eher als autonomen Akt von Selbstzeugung.
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Auch in der Arbeit im nächsten Stockwerk mit dem Titel „NoNoseKnows“ (2015) wird Nahrung ausgeniest: und zwar Teller mit Nudelgerichten, die eine weiße Frau, circa Mitte fünfzig, in einer Art Büro sitzend, vor sich aufstapelt. Provoziert werden die Attacken durch einen Blumenstrauß, dessen allergene Wirkstoffe durch einen Ventilator auf die Nase der Nudelnieserin gelenkt werden, dieser wiederum wird manuell angetrieben von einer Arbeiterin aus dem Stockwerk darunter. Die Arbeiterin ist Teil einer Brigade von Chinesinnen, die in einer Perlenzuchtfabrik arbeiten und dort Austern mit Fremdmaterial anderer Austern impfen. Die anschließend gezeigte Perlenernte stellt sich als durchaus grausamer Akt des Schlachtens und Ausweidens der perlengefüllten Muscheln dar. Die Ausbeutung der Arbeiterinnen unten korrespondiert mit der physischen Anstrengung der niesenden Angestellten oben. Die Perlen, in Säcke verpackt, zeigen ihren zukünftigen Waren- und Zirkulationscharakter an. Die Geringschätzung weiblicher Arbeitskraft stellt sich als tiefgreifend verbunden dar mit der Ausbeutung reproduktiver Tätigkeiten als solcher.
Rottenberg verfällt in ihren Arbeiten nie in einen rein dokumentarischen oder anklagenden Ton. Viel eher strömen ihre Filme eine teils auch erotisch aufgeladene Haltung zu den dargestellten Prozessen und Protagonisten aus. Zungen und Münder, Haare und Euter, Blumen und Fleisch sind selbst Teil einer Art reproduktiven Ästhetik, die weniger auf Repräsentation setzt, sondern auf eine physisch-emotionale Erfahrbarkeit, die mit Witz, Spontaneität und einer gewissen Prise Verrücktheit vorgetragen wird. So entzündet sich das subversive Potential ihrer Arbeiten vor allem an der gewählten Form.
Mika Rottenberg
Kunsthaus Bregenz
21.4.–1.7.2018
DANIELA STÖPPEL ist Kunsthistorikerin und lebt in München.